Montag, 7. Dezember 2020
LOK’N‘ROLL
Ich liebe Geschichten, die oft hinter Spielentwicklungen stecken. Eine ganz besonders schöne führt uns in die 40er Jahre der Nachkriegszeit zu unseren Nachbarn nach Holland. Der Lokomotivführer Kees Neve wurde damals pensioniert und wollte seinen ehemaligen Beruf zumindest im Schmalspurformat fortführen. Er baute dazu keine Märklinanlage in seinem Keller auf, sondern konstruierte recht große Metallkolosse mit integrierten Dampfmaschinen, in denen man auch sitzen konnte. PLUTO, HERCULES und ROLLECATE hießen seine kleinen Loks. Allein für den Bau der PLUTO brauchte er zehn Jahre von 1948 bis 1958. Mit dieser Lokomotive und einigen Waggons fuhr er an den Wochenenden auf einer kurzen Strecke in der Nähe seines Hauses in Vreeswijk hin und her, zur Freude der Kinder in der Nachbarschaft.
Ein Freizeitpark in Bennebroek hatte bald Interesse an seiner Lok, die sich für große Passagierversorgung aber als zu schwach erwies. Deshalb baute der Tüftler 1964/65 die HERCULES und wenig später die noch größere ROLLECATE mit einer Spurweite von 45 Zentimetern. Diese Maschine kam dann in den Goffert Park in Nimwegen, wo sie aus finanziellen Gründen 2012 an den schwedischen Abenteuerpark Nils Holgersson verkauft wurde. Die holländische Begeisterung für diese kleine Dampflok war groß, dass ein Freundeskreis sich so engagierte, dass die Maschine zurückgekauft wurde und nun wieder Runden durch den Goffert Park drehen soll. Michiel de Wit gehört zu den Unterstützern dieser Initiative, zusätzlich hat er der kleinen Lok ein spielerisches Denkmal gesetzt, sodass sie nicht nur im Freizeitpark ihre Runden dreht, sondern auch auf vielen Spieltischen. Die Kickstarter-Kampagne von de Wit war 2019 erfolgreich, seine Zielvorstellung von 2.500 Euro konnte er mehr als verdoppeln. Inzwischen liegt das Spiel auch in einer deutschen Bearbeitung von Board Game Circus vor.
Eingedeutscht dampft nun nicht mehr ROLLECATE über die Schienen, sondern die gute alte Emma dreht in LOK’N’ROLL ihre Runden. Fühlen wir uns also wie Jim Knopf und Lukas und sorgen für ein ordentliches Schienennetz auf Lummerland. Die ursprüngliche Grafik des Serben Misha Jovanovics passt ganz gut zu Endes vor 60 Jahren entworfener Inselwelt mit zwei Bergen.
Den Rundschienenstrang, der Emma quasi als Perpetuum Mobile fahren lässt, liefert de Wit mit Karten, die hinten abgebaut und vorn wieder angebaut werden. Sein LOK’N’ROLL ist ein Kartenmanagement-Spiel mit einer Prise Würfelglück, das aber auch taktische Herausforderung besitzt.
Kartenwerte von eins bis vier regeln á la DOMINO den Streckenbau, angelegte Kartenwerte dürfen sich maximal um eine Zahl unterscheiden. An eine Einer-Karte darf daher niemals eine mit einem Dreier-Wert angelegt werden. Das Kartenmaterial bietet Gleis-Karten, vier defekte Strecken und fünf Schutthalden. Jeder startet mit zwei Handkarten, die zum Zugbeginn durch eine dritte ergänzt werden. Emma steht auf einer Anfangsstrecke mit vier Schienen auf der dritten Strecken-Karte.
Wer am Zug ist, darf passen, was eine Strafkarte kostet und einen Streckenschritt für Emma zur Folge hat. Bei den Strafkarten wird die Strecke stets von hinten abgebaut. Warum die Aktion Passen Sinn macht, erklärt sich aus der Abwicklung der Strafkarten. Generell will jeder mit möglichst wenig Strafpunkten aus dem Spiel gehen. Für die Spieltaktik entscheidend ist, dass die oberste Karte immer dann mit einer neuen verrechnet wird, wenn sie identische Zahlen haben. Bei der zweiten Option dürfen eine oder mehr Streckenkarten mit gleicher Zahl für Emma verbaut werden.
Danach fährt der Zug. Entsprechend aller addierten Kartenwerte müssen Würfel geworfen werden, die mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Rad zeigen. Für jedes Radsymbol fährt der kleine Zug ein Feld weiter. Sollten die Strecken nicht mehr ausreichen, gibt es wieder Strafkarten, das gilt auch für eine der vier Gleisbruchkarten.
Schließlich will man ab und zu Schutt entsorgen. Wer eine solche Karte hat, nutzt sie meistens, um den Strafstapel zu entlasten. Wenn die letzte Karte vom Nachziehstapel gezogen wird, endet das Spiel. Alle restlichen Handkarten kommen zu den Strafkarten hinzu. Wer dann die wenigsten Strafpunkte hat und Emma am besten bedienen konnte, gewinnt LOK’N’ROLL.
Ein Solo-Modus verlangt gute Ergebnisse und dass Emma nicht mehr als dreimal entgleisen darf. Auch eine Automa-Variante mit Lokotoma Betsy wird angeboten. Diese Variante taucht erstmalig in der von Board Game Circus betreuten Ausgabe auf.
An den Spielrhythmus von LOK’N’ROLL muss man sich erst einmal gewöhnen. Im Gegensatz zu üblichen Eisenbahnspielen werden Strecken nicht großflächig aufgebaut, sondern hier halten sich Auf und Abbau die Waage und führen zu einem raffinierten Kartenhandling im Ablagebereich. Das ist die eine Ebene, die Steuerung zu lässt. Die andere ist das Spiel mit dem Risiko bei der Fortbewegung der kleinen Emma. Bauchschmerzen bereiten dabei immer die hohen Karten, da sie Emmas Kessel kräftig aufheizen, aber wie das so ist mit dem Kartenglück, meist tauchen die Viererwerte auch beim Gegner auf. Manchmal ist es sogar zu empfehlen, zwei oder drei identische hohe Gleiskarten direkt in einem Zug zu spielen, weil man alle Strafkarten beliebig kombinieren darf und keine Aufnahmereihenfolge einhalten muss.
LOK’N’ROLL ist kein großes Spiel, aber ein unterhaltsames kleines für Zwischendurch. Der Bad Krozinger Verlag Board Game Circus hat es wunderschön umgesetzt, das Regelwerk des Originals ergänzt, nur schade, dass die kleine metallene Rollecate nicht mit angeboten wird, die es als Deluxe-Zugabe bei de Wits Erstausgabe gab. Mit ihr schließt sich erst so richtig der Kreis zu der wunderschönen Vorgeschichte des Spiels.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: LOK’N‘ROLL
Autor: Michiel de Wit
Grafik: Misha Jovanovic
Verlag: Board Game Circus
Alter: ab 8 Jahren
Spieler: 1-4 Spieler
Spieldauer: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 13 Euro
Spiel 83/2020
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